...von München nach Brasilien

… von München nach Brasilien:

Der erste Hauch, mit dem die Fülle Lateinamerikas mich anwehte, kam aus dem Äther. Damals, Mitte der 1970er Jahre – ich wohnte mit Eltern und Geschwistern in Planegg bei München – waren gerade Kassettenrecorder in Mode, und ich erhielt zum zwölften Geburtstag ein schieres Monstrum. Abends vor dem Einschlafen hörte ich AFN, einen Sender, der oft gute Musik aus aller Welt brachte. Einmal gab es ein Special mit traditionellen Liedern aus Venezuela. An ein Lied erinnere ich mich, als hörte ich es in diesem Augenblick. Es hieß „Baja, rio verde“ – „fließ hinunter, grüner Fluss“, und es war von solch anrührender Innigkeit und Sehnsucht, dass ich eine Gänsehaut bekam. Wie aus dem Nichts ergriff mich ein Gefühl von absoluter Gewissheit und schleuderte mich weit hinaus in die Ferne: Das ist es!

Als junger Mann hatte ich eine Freundin, deren Fachschulkollegin eine Deutsch-Brasilianerin war, die mit ihren Eltern wieder in die alte Heimat gekommen war. Sie erzählte uns viel vom Mato Grosso, der damals noch nicht abgeholzt worden war für riesige Sojaplantagen; von der unendlichen Weite des Amazonas, exotischer Fauna und Flora, vom rauschenden Karneval und von der quirligen, afro-brasilianischen Kultur des Nordostens. Vor allem aber brachte sie uns in Kontakt mit der überwältigenden, sinnlichen und für uns noch fremdartigen Musik. Ich lernte Namen wie João und Astrud Gilberto, Sten Getz, Vinicius de Moraes und den begnadeten Gitarristen Baden Powell kennen. Unsere Freundin erzählte aber auch von der herrschenden Militädiktatur, von Folter, von Unterdrückung, Ausbeutung und Willkür. So sehr Brasilien zum Ziel meiner Saudade – meiner Sehnsucht – wurde, so sehr war mir auch klar, dass ich die Diktatur dort nicht mit einer Reise unterstützen konnte.

Also dauerte es noch etwas länger. Viele Jahre später hatte ich eine Wohnung in München und vermietete ein Zimmer an Studenten. Eines Tages kam ein Sprachstudent aus Rio de Janeiro – ein Carioca – und auch er hatte eine Fülle von Musik in der Tasche: Tropicalismo (allein der Name klingt wie eine satt gereifte, südliche Frucht), ein Stil, der in den späten 1960er Jahren von Caetano Veloso und Gilberto Gil entwickelt wurde. Kurz, ich verliebte mich in die sanften tropischen Melodien, besuchte mit dem Carioca etliche Biergärten und wurde eingeladen nach Rio. Gleich am ersten Tag machten wir einen Ausflug in den Park Barra da Tijuca. Wir kletterten den felsigen Hang hinauf, faustgroße Schmetterlinge schwirrten um uns herum, Horden von Mücken stachen genussvoll auf mich ein, kleine Affen tanzten in den Bäumen, und plötzlich öffnete sich der Blick. Aus dem milchigen Dunst schälten sich der Pão de Azucar, der Corcovado mit dem segnenden Christus und die sanft geschwungene Bucht von Guanabara. Die Gänsehaut ließ nicht lange auf sich warten.

Alles Weitere entwickelte sich (fast) wie von selbst. Seit 2002 wohne ich  zusammen mit meiner Frau in Salvador da Bahia. Und was Jahrzehnte lang verhalten schlummerte, brach hier mit gewaltiger Eruptionskraft aus: Der Drang, all die (teils haarsträubenden) Dinge, die ich erlebte, aufzuschreiben. Es entstanden etliche Kurzgeschichten, später dann Romane. Dank Internet konnte ich mich auf die Suche nach einem deutschen Verlag machen und wurde nach  langer Geduldsarbeit endlich fündig: die meisten meiner Bücher sind im Münchner Salon LiteraturVERLAG erschienen.

Nachdem ich an der Fachhochschule Grafik-Design und Fotografie studiert hatte, lag es nahe, die aufregende und farbenfrohe Welt, in der ich lebte, auch in Bildern zu dokumentieren. So entstand mein erstes literarisches Fotobuch über Bahia, dem inzwischen vier weitere folgten.

Schließlich spielte ich fast mein Leben lang Gitarre und sang dazu – meist selbst geschriebene – Lieder. Die südamerikanische Musik mit ihrer unglaublichen Rhythmik und Vielfalt faszinierte mich seit jeher. Also machte ich mich daran, nicht nur deutsche, sondern auch „latino“ klingende Songs zu komponieren und zu texten. Eine schöne Bestätigung war, dass ich Ende 2020 schon zum zweiten Mal in die Charts der meist gehörten und gemochten Songs von den Zuschauern und Hörern von Latizón – dem Fernsehsender rund um Lateinamerika – gewählt wurde.

Mittlerweile komme ich zweimal im Jahr(wenn nicht gerade eine Pandemie dazwischenkommt) nach Deutschland, um meine Bücher in Sprache, Live-Musik und Dias zu präsentieren. Auf meiner Seite will ich von meinem Leben in Brasilien, von meinen Büchern, Reisen und Lesungen erzählen und immer wieder Fotos zeigen, wie man sie man eher nicht im Reiseführer findet … 

Sejam bem-vindos no meu site!