Der liebenswerte Charme des Verfalls – verblichene Fassaden von Salvador

Salvador da Bahia hat ein  feucht-heisses, tropisches Klima und liegt gute zweitausend Kilometer vom Äquator entfernt. Dies hat fatale Konsequenzen für seine Gebäude und Straßen. Wenn man mit dem Auto oder Motorrad durch die Stadt fährt,  kann man den schleichenden Verfall der einst schönen Fassaden und den heldenhaften, aber vergeblichen Kampf dagegen gut beobachten.

Erst vor ein paar Jahren haben Staat und Stadt in einer  gemeinsamen Anstrengung die Gebäude der historischen Altstadt Pelourinho aufwendig restauriert.  Nun, nach einer kurzen Zeit des wieder erleuchteten Glanzes, bröckelt schon wieder der Putz, Schimmel kriecht auf leisen Sohlen über die schattigen Stellen und überzieht sie mit seltsamen, oft verwirrend schönen Mustern.

Sorria você está na Bahia!

Setz ein Lachen auf – du bist in Bahia!

– Volksmund

Ein Freund machte mir den Vorschlag, in einige historische Viertel der Stadt zu fahren – denn es gibt noch etliche weitere neben dem bekannten Pelourinho – und ihre Türen, Fenster und Fassaden zu fotografieren.

Die Spazierfahrten, die sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen erstreckten, waren Ausflüge in eine auch für mich fremde Welt. Zum Beispiel Barbalho, einst ein bürgerliches Viertel, direkt hinter dem touristischen Santo Antônio gelegen. Während dort die meisten Zuckerbäcker­fassaden aus dem frühen 20. Jahrhundert liebevoll aufgepäppelt und gepflegt werden, sind viele Häuser in Barbalho offensichtlich dem Verfall preisgegeben. Die stuckverzierten, herrschaftlichen Fassaden sinken in sich zusammen, als wären sie müde von dem Gewicht ihrer Zeit. Türen hängen schief in den Angeln, ganze Wände sind eingestürzt und geben den Blick auf offene Wohnungen frei, in denen immer noch Menschen leben. Trotzdem scheinen die meisten Bewohner hier guter Dinge. Jeder kennt jeden, und Nachbarschaftshilfe ist im Gegensatz zu vielen moderneren Vierteln kein Fremdwort. Es gibt alte und kleine Läden, Handwerksbetriebe und skurrile Bars. Überall, wo sich ein bisschen Grün einnistet, wuchern die Pflanzen und erobern sich ihr verlorenes Terrain zurück.

Auch in Ribeira, das auf einer Halbinsel unweit der Igreja do Bonfim liegt, atmet der Hauch einer längst vergangenen Pracht. An dem heruntergekommenen Strandboulevard liegen hübsche Villen mit verrosteten Außentreppen und spitzbögogen Fenstern. Im immer noch pittoresken Hafen dümpeln Schiffe, eine Fähre geht über die Meerenge nach Plataforma, einer riesigen Favela, die im Subúrbio, dem Vorstadtgürtel von Salvador liegt.

An der Strandprommenade nach Bonfim reihen sich noch immer stolze Gebäude mit großen Dachterrassen, die einen wunderbaren, unverbauten Blick auf die vorgelagerte Insel Itaparica und die Baía de Todos os Santos – die Allerheiligenbucht – bieten. Bis vor einigen Jahren gab es hier berühmt-berüchtigte Strandpartys, die “Segunda da Ribeira”. Segunda-feira heißt Montag, und ab Montag Nachmittag war in ganz Ribeira die Hölle los. In fast jeder Barraca, einer Strandbar, gab es Samba, auf den größeren Plätzen parkten “Carros de Som”, Lärmautos, die ganze Hauswände mit ihren dröhnenden Bässen erzittern ließen.  Irgendwann wurden die Feste untersagt, und nun liegt Ribeira wieder (außer Samstag und Sonntag) im Dornröschenschlaf und wartet auf den Prinzen, der es aus seiner Agonie erlöst …

Direkt unterhalb von Pelourinho liegen die Ladeira da Montanha und andere Steilstraßen, die die Unter- mit der Oberstadt verbinden. Aus dem Auto heraus kann man die wunderbare Aussicht bewundern und saust an halb verfallenen Bars und Gebäuden vorbei. Ihre Bewohner sitzen teilnahmslos davor und betäuben sich mit Klebstoff oder Crack. Es gibt nur einen Tag im Jahr, an dem man diese Straßen ungefährdet zu Fuß passieren kann: An dem großen Fest Conceição da Praia zu Ehren von Oxum, der Göttin der Süßwasser und der Schönheit. Dann strömen Menschenmengen über den Steilhang, und man gewinnt einen Eindruck von dem ehemaligen Reichtum und der verflossenen Pracht dieser aufregenden Stadt …