Nach einer schier endlosen U-Bahnfahrt fragte ich mich in mühsam radebrechendem „Portanhol“ nach der Straße meines Airbnb-Zimmers durch und drückte erleichtert auf die Klingel. Das erste, was ich hörte, war wütendes Hundegebell. Die dünne Glastür öffnete sich zu einem schmalen Korridor, im Spalt erschien eine junge Frau und lächelte mich an. „Eres Rupi? Soy Marcelita!“
Ich trat ein und wartete darauf, dass die Frau den Korridor durchschritt und mir mein Zimmer zeigte. Doch sie blieb stehen und wies stolz auf die etwa fünf Quadratmeter Fläche, in der wir uns befanden. „Su habitación!“ Sie musterte mich so strahlend, als hätte ich eben einen Sechser im Lotto gewonnen.
Erst jetzt bemerkte ich, dass in dem Korridor tatsächlich ein Bett stand, das mich von fern an die schöne Aufnahme auf dem Foto in der Anzeige erinnerte. „Und hier geht’s zum Bad.“ Sie öffnete die Tür zum Innenbereich der Wohnung. Unmittelbar vor mir stand eine zähnefletschende Dogge. Sie hatte etwa die Größe eines Kalbs und knurrte mich an. Der Hausherr und Freund Marcelitas stand daneben, kraulte ihr den Nacken und lächelte mir beruhigend zu. „Keine Angst, sie tut niemandem was zuleide!“
Ich hatte den Verdacht, dass der Mann etwas vorschnell von sich auf andere schloss und drückte mich an dem Ungeheuer vorbei ins winzige Bad. Marcelita überreichte mir, immer noch strahlend, die Schlüssel, und ich trat vorsichtig zurück in meine Bleibe. Unter dem etwa fünf Zentimeter großen Türspalt wehte ein arktischer Luftzug. Es war Mitte Dezember, und ich hatte mir irgendwie eingebildet, es müsste in Madrid um einige Grade wärmer sein als in Deutschland.
Alle Bedenken für meinen weiteren Aufenthalt in den Wind schlagend, trat ich auf die Straße und aß in einem nahen Restaurant leckere Tortillas. Das Wetter war strahlend schön, aber sogar in der Sonne wehte eine eiskalte Brise. Doch das milde Winterlicht war silbrig weich, es schien im Gegensatz zum Wind die Menschen und Häuser sanft zu streicheln. Bald war ich fasziniert von der merkwürdigen Mischung aus hoch aufragenden Gebäuden und dem quirligen Leben auf der Straße. Ich merkte schnell, dass diese Stadt ein Eldorado für Fotografen ist. Moderne und Tradition, prächtige klassizistische Bauten und winzige Läden, die allgegenwärtige, oft laszive Werbung und berührende Alltagsszenen prallen unmittelbar aufeinander und vereinen sich zu einem Kunstwerk, das für Augenblicke existiert, verschwindet und wieder einem anderen Platz macht.
Abends ging ich widerwillig zurück in meinen Wohn-Korridor und schlief trotz Luftzug und völlig ungefiltertem Straßenlärm ein. Ich wachte auf von einem heftigen Schlag gegen die Innentür. Das Hausherrenpärchen hatte angekündigt, nachts auszugehen, und nun kannte die Dogge anscheinend kein Halten mehr. Sie donnerte mit ihrem stattlichen Kalbsgewicht gegen die Tür, von der ich mich fragte, wie lange sie dem Ansturm wohl standhalten mochte. Irgendwann muss ich trotzdem wieder eingenickt sein, denn früh morgens wachte ich, zitternd vor Kälte, auf.
Im milden Licht der Erinnerung bin ich Dogge und Kälte aber dankbar. Der frühe Vogel pflückt bekanntlich den Wurm, und ich schoss in den blutig goldenen Sonnenaufgängen Madrids etliche stimmungsvolle Aufnahmen, die ich tief schlafend im Bett nie gemacht hätte …