Ende November hatte ich meinen letzten Leseabend in der Stadtbibliothek in Unterschleißheim bei München. Der Auftritt lief gut, ich war allerdings recht erkältet und nach meinem Lese-Marathon durch Deutschland ein bisschen geschafft. Wie auch immer – ich vergaß in der Hektik des Aufbruchs meine Kamera. Ich hatte mich schon sehr auf das Fotografieren in meinem Napoli-Urlaub gefreut – doch am nächsten Morgen ging der Zug, und die einzige Kamera, die mir jetzt zur Verfügung stand, war die meines Handys.
Ich gebe es zu, ich bin alles andere als ein Handy-Crack. Ich hatte mein Smartphone als Letzer in meinem Bekanntenkreis gekauft und als Einsteigermodell ein ausgesprochen günstiges gewählt – ich wusste ja noch nicht, ob ich mich in der verwirrenden Welt zahlloser Apps und sonstiger technischer Spielereien zurechtfinden würde. Erst spät stellte ich fest, dass in meinem recht gut funktionierenden Billigmodell sogar eine Kamera eingebaut war. Bei einem Ladenpreis von neunundachtzig Euro kann man annehmen, das deren Anteil am Endpreis bei vielleicht fünfzehn Euro lag. Ich hatte hin und wieder ein paar Aufnahmen damit gemacht, und das Ergebnis war, wie ich mir ausgemalt hatte, bescheiden.
Mit diesem Technik-Wunder bestückt, kam ich schließlich in Neapel an und lief vom Bahnhof Garibaldi in die Richtung des wunderschönen Botanischen Gartens, in dessen Nähe mein angemietetes winziges Häuschen lag. Ohne lange zu fragen, nahm die aufregende Stadt, die ich in den letzten Jahren oft besucht habe, wieder von mir Besitz. Diesmal war der Eindruck fast noch „napolitanischer“ als im Mai, da sich Anfang Dezember – zumindest in den Vierteln, durch die ich spazierte – die Touristenströme ins Nichts aufgelöst hatten. Vor allem aber lag über den quirligen, lebenssprühenden Gassen ein unwirkliches, fast schon sphärisch wirkendes sanftes Licht, das in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem ansonsten donnernden Leben stand. Die schräg einfallenden milden Strahlen schienen die Menschen, Autos, Müllberge und abgerissenen Fassen zu streicheln und auf seltsame Art gleichsam zu erhöhen.
Ich verfluchte meine Vergesslichkeit, zog missmutig mein Handy aus dem Rucksack und begann zu knipsen. Schon nach zwei, drei Bildern wurde mir klar, dass man mit dieser Kamera anders fotografieren muss als mit einem Spiegelreflex-Gerät. Nahaufnahmen von Gesichtern konnte ich wegen des fehlenden Zooms vergessen, auch große Lichtunterschiede auf einem Bild mochte die Linse nicht. Manchmal jedoch war die Farbigkeit überraschend intensiv, und ich lernte, dass die unvorhersehbare Schärfe des Objektivs oft interessante Effekte hervorzauberte.
Fasziniert schritt ich die steilen Treppen neben dem Botanischen Garten nach oben, an versteckten Schrebergärten vorbei, drehte mich immer wieder um und sah, wie sich der Blick auf die Silhouette der Stadt und den Vesuv öffnete. Endlich kam ich vor einem leicht verrosteten Tor an, klingelte, und die junge Besitzerin zeigte mir mein Häuschen: Zwei Liegestühle, ein kleiner Tisch mit einer frisch gepflückten Rose, ringsum Orangen- und Zitronenbäume, und unter mir wie extra bestellt ein Stillleben aus rostroten Dächern, fast verirrt hochragenden Wolkenkratzern, blitzendem Wasser mit bunten Schiffen, und einem im milden Nachmittag vor sich hin dösendem Vulkan – ein kleines, von hier aus verwunschen wirkendes Paradies, in dem Lärm, Dreck und Gestank der Metropole sich gnädig entfernten.
Ich machte ein paar Aufnahmen mit meiner inzwischen hoch geschätzten Kamera und wurde nicht enttäuscht. Noch schöner als der späte Nachmittag war die Nacht mit einem schier unglaublich glitzernden Meer an Lichtern – doch hier kam die Linse natürlich an ihre Grenzen … Aber reisen Sie selbst doch virtuell mit …