Wer Urlaub in Neapel macht und die Ausgrabungsstätten Herculaneum und Pompei besuchen will, sollte die überall angebotenen Transfers links liegen lassen und den charmanten, noch dazu spottbilligen Vorortzug Circumvesuviana wählen. Wenn man unten in Garibaldi, dem Hauptbahnhof, in den Zug steigt, hat man das Gefühl, nicht nur aus Neapel hinaus, sondern unmittelbar in die Vergangenheit zu reisen. Die Räder quietschen, der Wagen wackelt heftig in den Kurven, und die schmalen Bänke sind nicht unbedingt komfortabel – doch man sitzt mitten unter Neapolitanern und lässt sich entspannt durch die Vororte ins Umland fahren.
Die meisten Besucher geben den Ausgrabungen in Pompei den Vorzug, das größer, aber auch teurer und voller ist als das nähere Herculaneum. Doch ich war gerade von der
Intimität und Überschaubarkeit der uralten Gassen und Häuser fasziniert. Sogar der Teil einer Originaltreppe zu einer Insula, einem antiken Mietshaus, war noch erhalten. Das zweitauend Jahre zurück liegende Leben der Bewohner und ihr Alltag, der sich in vielen Dingen gar nicht sehr von dem heutigen unterschied, wirkten greifbar nahe.
Auch wer eine Tour zum Vesuv machen möchte, kann auf den Sightseeing-Bus verzichten. Man fährt einfach bis Pompei und nimmt dort einen öffentlichen Bus bis zum Fuß des Berges. Das ist umständlicher, aber vielleicht auch erlebnisreicher als das einfache Hin- und Herfahren mit dem Bus.
Die Endstation der Circumvesuviana ist Sorrent. Die Stadt liegt etwa eineinhalb Stunden von Neapel entfernt, doch einen größeren Gegensatz könnte es kaum geben: Die wenigen vorhandenen Vespas scheinen einen Lärmfilter eingebaut zu haben, an jeder Ecke finden sich distinguierte Läden für zahlungskräftige Kunden. Auch die gediegenen Hotels atmen den diskreten Charme des Geldes, das man hat, aber nicht erwähnt. Die ausufernden Müllberge in meinem Gastviertel in Napoli schienen hier nicht vierzig, sondern viertausend Kilometer entfernt zu liegen.
Allerdings besitzt der Wanderer zwei Füße, die ihn hinaustragen können in eine ganz andere Welt. Zufällig stieß ich ein wenig außerhalb auf einen Hohlweg mit uraltem Kopfsteinpflaster und Mäuerchen, links und rechts blühten die Wiesen (ich war dort Mitte Mai), knorrige Olivenbäume warfen flirrende Schatteninseln, und auf einmal öffnete
sich der Blick und ich sah die glitzernde Fläche des Meeres in einem leuchtend
intensiven Blau, das eher von einer kitschigen Postkartenreklame als von dieser
Welt schien. Pittoreske Landhäuschen lagen inmitten halb wilder Gärten, Hummeln
und Schmetterlinge surrten um mich herum, und irgendwo weit oben, nach
schweißtreibenden Serpentinen, lag hoch über dem Meer ein Restaurant in Blau
und Weiß, in dem zwei Kellner um mich als einzig vorhandenen Gast herumschwirrten:
Ein vorweggenommenes Paradies – streng genommen noch nicht ganz an der berühmten
Amalfiküste gelegen, die ja erst auf der anderen Seite der Halbinsel beginnt …
Zu den Fotos auf diesem Blogbeitrag (wie auch auf allen anderen): Einmal doppelklicken, und sie erscheinen in voller Größe!