Wie im richtigen Leben – meine Lesereise in Deutschland

Ich bin wieder zurück in Brasilien, in Salvador da Bahia, bei tropisch feuchten 35 Grad Celsius  … Gerade mal einen Monat war ich in Deutschland – mit den unterschiedlichsten Eindrücke und Begegnungen. Angefangen in der wunderschönen Gemeindebücherei in Gräfelfing bei München – ein sehr edles und gemütliches Ambiente, und noch dazu eine tolle Stimmung. Das Highlight von den Besucherzahlen her war sicher Bamberg, wo ich in Zusammenarbeit mit dem italienischen Kulturverein Mosaico eine Lesung – natürlich über Neapel – gab: Circa achtzig hoch motivierte, begeisterte Zuschauer, die gerade noch in den Kleinen Saal der Volkshochschule hineinpassten. Aber wie Marco de Pietri, der Leiter des Mosaico augenzwinkernd feststellte: „Wir haben mit dem Besucheransturm gerechnet :)“ Da Mosaico mir auch eine Übernachtung in einem Hotel spendierte, hatte ich auch noch Gelegenheit, das wunderschöne historische Bamberg zu genießen.

Eine Woche später ging es nach Köln, wo ich in der Südstadt (ein Kultviertel, in dem Wolfgang Niedecken von BAP aufgewachsen ist) in dem urigen „Kulturcafe Lichtung“ aus „Lisboa, die melancholische Schöne“ vorlas, musizierte und Dias zeigte.
Weiter ging es  sozusagen als Heimspiel – es war schon meine zweite Lesung – in Bergisch-Gladbach und dem engagierten Kulturzentrum „Himmel & Ääd“. Die Vorstellung war gut besucht mit hoch interessierten und sehr angetanen Gästen. Zuvor widerfuhr mir allerdings noch ein Erlebnis der besonderen Art: Ich hatte mit dem Besitzer ausgemacht, dass wir uns rechtzeitig eine gute Stunde vor der Vorstellung träfen. Nun stand ich mit Gitarre und Texten vor der verschlossenen Tür und lief im zügigen Stechschritt auf und ab, um der schneidenden Kälte zu trotzen und meine (zumindest für den Abend) unerlässliche Stimme zu schonen. Ich  zog, um mich vor der klammen Kälte zu schützen, meinen Wollschal weit über die Nase. Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter – ein Freund und Helfer von der Polizei. Er fragte mich höflich, was ich hier vor den Geschäften zu tun habe. Ich erklärte ihm, dass ich auf den längst überfälligen Veranstalter warte und zeigte auf mein einsames Equipment vor der Tür des Cafés. Er nickte verständnisvoll und gab ein Signal an einen hinter mir mit Blaulicht parkenden Streifenwagen, dessen Insassen sich innerlich wohl schon auf einen Großeinsatz eingestellt hatten. Der Polizist grinste und fragte, ob er mich um etwas bitten dürfte. Ich sagte höflich Ja. Er wies diskret auf meinen Mundschutz, und erst in diesem Augenblick wurde mir klar, dass mein ungewöhnliches Aussehen vielleicht Anlass zu Missverständnissen geben könnte. Ich zog den Schal kurz nach unten, schüttelte bedauernd den Kopf und erklärte, dass ich recht erkältet sei und dringend meine Stimme schonen müsse. Der Freund und Helfer grinste noch breiter, wünschte mir einen schönen und erfolgreichen Abend und lief wieder zurück zu seinen Kollegen im Wagen.

Am nächsten Tag ging es fugenlos weiter nach Augsburg, wo abends in der Volkshochschule wieder eine Lesung geplant war – das heisst, es sollte problemlos weitergehen, denn nach etwa zehn Minuten hielt der pünklich abgefahrene Zug im Nirgendwo. Kurz darauf kam die lapidare Ansage: „Personenschaden“ (ob von der betreffenden Person absichtlich oder unabsichtlich initiiert – und mit welchen Folgen, sagte der Sprecher nicht). Das Resultat für mich und meine Leidensgenossen: Wir fuhren im Schrittempo bis zum Flughafen Köln/Bonn, wo der Zug zunächst stehenblieb; schließlich eine erneute Ansage – es ginge wieder zurück nach Köln Hbf., wo wir nach insgesamt gut einer Stunde wohlbehalten einfuhren. Ich atmete tief durch – die Zeit war ja auf meiner Seite, die Lesung sollte erst um 20:00 abends beginnen. Ich plane immer möglichst viel Luft ein, denn es kann immer etwas Unvorhergesehenes passierenf. Nun aber verkündigte der unsichtbare Sprecher, der Zug würde „linksrheinisch“ umgeleitet, was eine herrliche Streckenführung inklusive Burgen und Lorelei bedeutet, aber leider auch ein vorprogrammiertes Kriechtempo, da die Gleise dort nicht auf Hochgeschwindigkeit angelegt sind. Mein gut gepolsterter Stundenvorsprung begann zu schrumpfen. Ich rief zur Sicherheit bei der VHS in Augsburg an, konnte aber keinerlei Auskunft geben, ob ich es noch rechtzeitig schaffen würde oder nicht. Endlich kam der Zug in Mannheim an. Natürlich verpasste ich den nächsten Anschlusszug, stand weitere dreissig Minuten in der Kälte und kam endlich um Viertel nach acht mit dem Taxi vor der VHS an, wo mich im ersten Stock eine Traube mitfühlender und gespannter Zuschauer erwartete …

Meine letzte Vorstellung in Unterschleißheim bei München ging dann zum Glück völlig problemlos über die Bühne vor gut dreißig Zuschauern, mit denen ich noch einmal in die melancholische Schöne am Tejo – Lisboa – eintauchte. Den Veranstaltern gefiel die Lesung so gut, dass wir gleich den nächsten Termin festmachten – im November 2020 über „Napoli, die aufregende Stadt zwischen Feuer und Wasser“ … Ich freue mich schon!